Indien#06: Die Toten der Ghats

24.Januar 2019

Mir tut alles weg! Das Bett war ziemlich hart und gegen Mitternacht kamen noch zwei Inder in das Abteil und haben sich ein Bett geteilt. Und außerdem haben die beiden noch lange gequatscht. Und dann war da noch die Klimaanlage: diese konnte man nämlich nur einschalten oder ausschalten. Und einschalten bedeutet frösteln. Aber geschlafen hab ich trotzdem ein wenig. Geplante Ankunft in einer Nachbarstadt von Varanasi war um 7:38 Uhr. Aus dem Zug gestiegen bin ich um 10:37 Uhr. Also nicht Mal drei Stunden Verspätung! Zusehen gab es auf dem Weg auch nicht sehr viel außer dreckigen Bahnhöfen und einigen Reisfeldern, denn es war auch ziemlich neblig mit einer Sichtweite von nur wenigen Metern.

Angekommen bin ich allerdings noch nicht. Ich bin noch etwa eine Stunde mit dem Tuktuk unterwegs von Bahnhof in die Stadt Varanasi. Mein Fahrer drängelt sich in so ziemlich jede Lücke und kämpft sich nach vorne. Gefühlt würde ich sagen, dass der Straßenverkehr hier noch lautet und noch chaotischer ist. Ständig stehen Kühe auf der Straße oder blockieren liegend einen Fahrstreifen. Aber Kühe dürfen das und alle anderen fahren einfach herum. Im Hotel gibt es erst einmal eine Dusche bevor ich mir ein Restaurant zum Mittagessen suche.

Für den Nachmittag habe ich bei meinem “Hotel-Direktor” eine Führung durch die Altstadt gebucht. Wir sind zu dritt: Ein Inder aus dem Norden Indiens, unser Guide und ich. Zuerst geht es entlang der lauten Haupstrasse in Richtung des heiligen Flusses Ganges, bevor wir kurz vor dem Fluß in eine schmale Gasse abbiegen. Durch kleine und schmale Gässchen geht es hinein in die Altstadt. Überall stehen kleine Tempel. Nahezu jedes Haus hat auch einen eigenen Tempel. Mal größer und mal kleiner. Aus manchem Tempel wachsen wachsen sogar ganze Bäume heraus. Und an anderen Tempeln sieht es so aus, als ob aus diesen Bäumen dann die Telefon- und Stromleitungen herauswachsen. An den Häusern und ganz besonders über den Hauseingängen sind die wichtigsten hinduistischen Götter stark vertreten. Gerade Ganeshar, der Gott mit dem Elefantenkopf fällt mir immer wieder ins Auge.

Dann gibt es erst einmal einen Masala-Tee. Wir kaufen den Tee bei einem kleinen Straßenhändler. Dort wird der Tee nicht in Plastik- oder Pappbechern serviert, sonder in kleinen Tonschalen, die extra für die Einmalnutzung gemacht sind. Das leere Gefäß verwandelt sich anschliessend in einen Haufen Tonscherben. Das gleiche passiert auch später mit der Tonschüssel aus dem wir unseren Lassi, ein Joghurt mit Früchten und Gewürzen löffeln. Die Löffel sind übrigens aus Holz. Als wir gerade unseren Lassi genießen kommt eine Gruppe Männer vorbei, die auf einer Trage über ihren Köpfen einen in bunten Tüchern und mit bunten Blumen geschmückten Leichnahm in Richtung Fluss tragen. Dazu später mehr. Aber wir sind ja nicht nur zum Tee trinken und Joghurt löffeln in der Altstadt, sondern wollen auch einige Tempel besuchen. Und da sind wirklich sehr schöne Tempel dabei. An einem Tempel können wir wunderschön geschnitzte Stellungen aus dem Kamasutra bewundern.

Später, als es dunkel geworden ist, fahren wir mit einem Ruderboot auf den Ganges etwas weiter stromabwärts. Wir rudern zu den Ghats, das sind die Platformen und Stufen die hinunter zum Wasser des Ganges führen. An diesen Ghats werden die Körper von Verstorbenen verbrannt und die Asche in den Ganges geschüttet. Diese Zeremonie ist das großartigste, was einem Hindu geschehen kann. Auf diese Weise wird der Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt durchbrochen.

Etwa ein dutzend Feuer brennen wenige Meter von uns entfernt am Ufer. Einige Körper kann man in den Flammen erkennen. Etwa 2-3 Stunden dauert es bis der Körper verbrannt ist. Die Feuer brennen hier kontinuierlich 24 Stunden am Tag.

Nur wenige Ruderminuten entfernt wartet ein anderes Schauspiel auf uns. Hunderte Boote haben sich auf dem Wasser versammelt um einer hinduistischen Zeremonie zuzuschauen, die auf den Platformen am Ufer jeden Abend stattfindet. Es handet sich um eine Feuerzeremonie bei der aber auch mit Glocken und Rauch geschwenkt wird. Diese Zeremonie ist der Abschluß für die Pilger, die den ganzen Tag über zu den unterschiedischten Tempeln in der Stadt gepilgert sind. Und sehr wahrscheinlich auch einige Tage vorher schon unterweggs waren. Am Ufer schauen dieser beindruckenden Zeremonie sicherlich tausende Menschen zu.

Was für ein grandioser Abschluss dieses Tages. Ich hatte vorher viel von einem “Gefühl” gelesen, mit dem einen Varanasi in seinen Bann ziehen soll. Mir hat sich das Gefühl bisher noch nicht erschlossen, auch wenn ich heute einige wundervolle und interessante Dinge erlebt habe. Aber für mich ist Varanasi auch die bisher dreckigste, lauteste und am meisten nach Abgasen stinkende Stadt auf meiner Indien-Tour.