Reise nach Jerusalem (Tag 14): „Ein Land macht nicht nur aus, was es tut, sondern auch was es toleriert.“

14-082906

A country is not just what it does –  it is also what it tolerates
„Ein Land macht nicht nur aus, was es tut, sondern auch was es toleriert.“

Kurt Tucholsky

14.10.

Heute fahre ich mit der Tram zum Mount Herzl.  Auf dem Berg mitten in Jerusalem liegt die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. Ich bin ziemlich gespannt auf Yad Vashem denn ich habe von anderen Besuchern schon viel darüber gehört und alle sagen: das musst du dir anschauen. Ich war bereits zwei mal in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ausschwitz und diese Besuche waren schon ziemlich ergreifend. Der Eintritt in die Gedenkstätte hier in Jerusalem ist kostenlos, nur für den Audio-Guide ist ein kleiner Betrag fällig. Ich entschließe mich als erstes einen Spaziergang durch den Park zu machen. Der Park ist voll mit Monumenten und Denkmälern wie zum Beispiel einem Denkmal für die im Krieg gegen Deutschland gefallenen jüdischen Soldaten. Im Tal der Gemeinden spaziere ich durch einen künstlich angelegten Canyon aus Sandstein. In Tafeln sind die Namen der jüdischen Gemeinden in Europa eingemeißelt.  Auch meine Heimatstadt Obernkirchen und die Nachbarstadt Rinteln entdecke ich in dem Labyrinth aus Felsblöcken. Die Halle zur Erinnerung an die ermordeten Kinder ist eine dunkle, verspiegelte Halle. In der Halle spiegeln sich Kerzen immer und immer wieder und während ich durch die Halle gehe werden die Namen jedes einzelnen Kindes mit Alter und Herkunft aufgesagt. Sehr ergreifend.

Vorallem das Holocaust-Museum erzählt was während der Nazi-Zeit in Europa passierte. Die Filme und Ausstellungsstücke aus der Zeit machen Nachdenklich. Nachdenklich darüber, was damals geschehen ist und das so etwas nicht wieder passieren darf. Ich lese einen Satz von Kurt Tucholsky: „Ein Land macht nicht nur aus, was es tut, sondern auch was es toleriert.“

Dabei muss ich an Deutschland denken und was dort gerade mit dem Erstarken des extremen Rechten geschieht. Aber auch an das was ich in Bethlehem und Hebron gesehen habe: Hier werden Menschen, die eine andere Religion haben systematisch ausgesperrt. Mit mehrere Meter hohen Mauern und Zäunen, Wachtürmen und Soldaten. Auch das darf ein Land nicht tolerieren. Warum gehen Menschen feiernd auf die Straße, wenn ein anderer Mensch sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft gesprengt habt und dabei unschuldige Menschen mit in den Tot gerissen hat. Auch das darf ein Land nicht tolerieren. Warum jubeln Menschen, wenn Menschen Brandsätze auf Flüchtlingsheime werfen? Auch das darf ein Land nicht tolerieren!

Die Holocaust-Gedenkstätte ist auf jeden fall einen Besuch wert. Der Park und das Museum laden zum Verweilen und Nachdenken ein. Aber einen Kritikpunkt habe ich trotzdem. Ich habe etwas in Yad Vashem vermisst. Während des Nazi-Regimes wurden nicht nur Juden in ganz Europa getötet. Was ist mit den Menschen, die dem Regime Widerstand geleistet haben? Was ist mit den Kommunisten und Sozialdemokraten die in den Vernichtungslagern ermordet wurden? Und den vielen anderen Menschen, die einfach nur eine aus Sicht der Nazis falsche Hautfarbe hatten? Die Sinti und Roma? Entweder habe ich diese Abschnitte in Yad Vashem übersehen oder es gibt sie einfach nicht.

Am Nachmittag brauche ich nach dem bedrückenden Vormittag in Yad Vashem etwas anderes für den Kopf. Eine Tour über den Ölberg oder auch den „Berg der Oliven“ habe ich gebucht. Auf der Route stehen einige Kirchen der unterschiedlichsten Konventionen. Wir starten ganz oben auf dem Ölberg und „arbeiten“ uns nach unten voran. Die erste Kirche ist eigentlich eine Moschee und ihr Innenraum ist rund mit einer kleinen Nische in Richtung Mekka. Davor schaut aus dem Boden ein Stück Fels hervor: Es ist der Fußabdruck Jesu, als er in den Himmel auffuhr und mit dem linken Fuß zuletzt den Boden berührte. Es braucht schon ein bisschen mehr Fantasie um den Fußabdruck zu erkennen. Die Himmelfahrt Jesu wurde nicht weit entfernt beobachtet. Und auch an dieser Stelle steht eine Kirche. Hier ist das „Vater Unser“ in vielen verschiedenen Sprachen auf Wandfliesen gemalt. Auch plattdeutsch, Helgoländisch und die Sprache der Cherokee-Indianer sind dabei. Während wir langsam durch den Friedhof den Ölberg hinabgehen ist die Aussicht auf die Altstadt von Jerusalem mit den unzähligen Kirchen, Moscheen und Synagogen fantastisch. Die Gräber an diesem Ort sind unbezahlbar. Zumindest für normal Verdiener. Für ein einziges Grab an diesem zentral gelegenen Hügel in Jerusalem zahlt man bis zu 250000 Euro.  Die nächste Kirche ist an der Stelle erbaut worden, an der Jesus in Tränen ausgebrochen ist, als er über den Ölberg kam und von dort den Tempel in Jerusalem und die Korruption sah. Von hier aus hat man auch eine tolle Sicht auf eine Kirche der russisch-orthodoxen Kirche mit ihren goldenen Zwiebeltürmen. Auch im Garten Gethsemane steht eine Kirche mit einem wundervollen Bodenmosaik und auch die Decke der Kirche ist mit bunten Mosaiken geschmückt. Im Garten Gethsemane ist Jesus von einem seiner Jünger verraten und festgenommen worden.

Auf meinem Rückweg durch die Altstadt begegnen mir immer wieder schwer bewaffnete Soldaten und Sicherheitskräfte. Es ist Freitag. Der Feiertag der Muslime und mit dem Sonnenuntergang beginnt für die Juden der Shabatt. Das führt in Jerusalem immer wieder zu Konflikten.

Um 17.30Uhr ertönt eine Sirene über der Stadt und nun hat wirklich alles geschlossen. Die Kinder spielen auf der eben noch mit Autos verstopften Straße, Fußgänger gehen dort wo eben noch die Tram gefahren ist durch die Innenstadt. Ich entdecke noch einen einzigen kleinen Supermarkt und kaufe mir zu meinem letzten Abendmahl Humus und Fladenbrot. Im Hostel treffe ich dann auch noch Peter und Max wieder. Unseren letzten Abend genießen wir bis tief in die Nacht mit Wein und dem leckeren palästinensischen TayBeh-Bier.